In der Weisheit der Upanishaden des Hinduismus lernen wir, dass der Mensch schließlich Brahma erlangen wird. Es ist die Lehre der Bhagavad-Gita, dass die Seele unsterblich und dass Erlösung möglich ist durch den Kreis von Wiedergeburt und neuem Tod. Der Jainismus lehrt die Unsterblichkeit der Seele.
Der Eintritt ins Pari-Nirvana, wie ihn der Buddhismus verkündet, erlöst den Buddhisten vom Zyklus der Wiedergeburt. Das griechische Denken, von Plato an, bestätigte die Unsterblichkeit der Seele, und im Zoroastrismus findet sich ein starker Glaube an die Unsterblichkeit der materiellen Welt. Seit der Zeit des Frühjudentums bekennt sich die jüdische apokalyptische Erwartungshaltung eindeutig zur Auferstehung. Gnade und Trost?
Das Christentum hat stets die Unsterblichkeit der Seele, die Auferstehung des Leibes und das ewige Leben gelehrt. Im Islam gibt es eine Lehre von Paradies und Hölle als ewigem Los der Toten.
Würdig sterben, davor hat unsere Gesellschaft – nachdem der Bundstag entschieden hat, es soll genau so bleiben – Apparatemedizin, religiösen Zauber und – darauf basierend – Gesetze gesetzt:
Kirche & Kriminalisierung des Freitodes – gestern und heute – Schon die Urkirche muss doch verdächtigt werden dürfen –
und zwar ab dem 5. Jahrhundert ebenso eifrig, wie brutal – und verspätet. Mit durchaus nämlich einigem Recht darf die Urkirche verdächtigt werden, durch den Märtyrerkult zum Freitod angestiftet zu haben, der als Eintrittskarte ins Reich der Seligen galt. Hatte nicht der „Heilige Petrus“, – seinem göttlichen Mentor gleich – freiwillig den Tod gesucht? „Niemand entreißt mir das Leben, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin“, legt der Evangelist Johannes (10,18) Christus in den Mund. Im 3. Jahrhundert spinnt Tertullian, einer der Kirchenväter, das Thema weiter aus: „Der Gott Christus ist nur deshalb gestorben, weil er damit einverstanden war. Gott steht nicht unter der Herrschaft des Fleisches“.
Im 4. Jahrhundert dann kommt es Augustinus in den Sinn, nachzuweisen, dass der „Selbstmord“ – den wir Freitod zu nennen belieben – „eine abscheuliche und verdammenswerte Schlechtigkeit ist“ und das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“ auch für die eigene Person zu gelten habe. Diese plötzliche theologische Entdeckung, die – was Wunder – als ewige Wahrheit präsentiert wird, veranlasst Jean-Jaques Rousseau – dem wir uns nachdrücklich anschließen – trotzig zu polemisieren: „Die Christen haben die Grundregeln über den freiwilligen Tod weder aus den Prinzipien ihrer Religion noch ihrer einzigen Richtschnur, welche die Heilige Schrift ist, sondern allein aus den Werken heidnischer Philosophen entnommen: Lactantius und Augustinus, welche zuerst die neue Lehre verkündet haben, von der Jesus Christus und die Apostel nicht ein einziges Wort gesagt hatten, stützten sich nur auf die Beweisführung im Phädon; auf dass die Gläubigen, welche hierin der Autorität des Evangeliums zu folgen glauben immerhin aber der des Plato folgen.“
Privileg des Humanen
Die Wende in der Lehrmeinung fällt in die Periode, in welcher Kirche – im römischen Reich lediglich subversive Sekte – zur Macht aufsteigt und die herrschende Ideologie produziert. Von Stund an widmet sie sich der Beherrschung dieser Welt, statt ihre Schäfchen zu ermuntern, sich der jenseitigen („… mein Reich ist nicht von dieser Welt“) anzuschließen. Von Konzil zu Konzil wird nun das kanonische Recht der Selbsttötung repressiver, greift noch heute in die längst notwendige Diskussion um Freitod und Sterbehilfe ein. Freitod und Sterbehilfe, von Religionen und nicht zuletzt eben deshalb auch von der Gesellschaft verdammt, lässt diese Privilegien des Humanen als ein Vergehen erscheinen, als unnatürlichen und absurden Akt. Wir haben es in den Bundestagsdebatten zum Thema und zu schlechter Letzt für diesmal jedenfalls mit dem Abstimmungsergebnis er-lebt! Hat aber doch nicht schließlich auch der „natürliche“ Tod sein Unnatürliches und Skandalöses?
Wie lange noch müssen Menschen Angst, mitten im Leben haben, weil zu befürchten ist, dass kein Arzt bereit ist, sie eines Tages – weil strafbewehrt – durch aktive Euthanasie zu einem würdigen, vom Kranken ersehnten und durch sorgfältige Sicherungsmaßnahmen geschützten Tod zu geleiten. Ist es wirklich unabdingbar, dass Menschen niemals gelassen, ruhig und furchtlos leben dürfen, weil die Angst vor dem Tod in Würdelosigkeit und unverschuldetem kindischen Gebaren ständiger Begleiter ist?
Warum darf ein Mensch nicht sterben,
sondern muss sich sterben lassen? – einem Entsetzen preisgegeben, das mit Leben, Würde und Humanität nichts mehr zu tun hat, sondern Schmerz- Ekel- und Apparate-Dasein ist: Mit einer Lähmung bis zum Hals, mit der Einkerkerung in eiserne Lungen, mit der Nichtexistenz der an Geist und Körper Zerstörten?
Apparate abschalten – Dilemma für Ärzte! Aber warum?
Dass mit der Bitte um Sterbehilfe an Ärzte deren Grundsätze angegriffen werden, dass ihr Streben auf Lebensverlängerung eher denn auf Lebensqualität gerichtet ist, das ist auch ein zentraler Punkt dieser Diskussion. Gegen das Dilemma, vor dem die Ärzte heute stehen und in dem sie in Zukunft (nach der Bundestagsentscheidung) immer häufiger sich befinden werden, setzen wir als einzige Möglichkeit, dieses – für sie wahrlich schwierige – Problem zu lösen, eine Revolutionierung ärztlicher Grundhaltung. Die gesamte Ärzteschaft muss lernen, sich der Verantwortung zu stellen, die mit der Lebensverlängerung ebenso verbunden ist, wie mit der Frage des – würdigen – Sterbens. Mediziner müssen den Mut aufbringen, sich mit den Konsequenzen ihres Könnens auseinanderzusetzen und sich zu guter Letzt bereit finden, Hilflosen auf ihr unzweifelhaftes Begehren bei der Beendigung unnötigen Leidens zu helfen. Erfreulicherweise gibt es ja aber an allen größeren Kliniken eine Ethikkommision, die klammheimlich aber sehr verantwortungsbewusst zum Wohl der Patienten entscheiden. Zur rechtlichen Situation
Aktiv – Passiv. Legal – scheißegal – Falsch programmiert? Richtig programmiert!
Innere Erlebnisfähigkeit ist in unserer Kultur weitgehend blockiert, blockiert vor allem durch Riegel, die im Namen der Moral, der menschlichen Würde und einer falsch verstandenen Humanität gegen das „Tier im Menschen“ gesetzt worden sind. Viele elementaren, vegetativen und animalischen Erlebniszonen können darum vom menschlichen Bewusstsein nicht mehr erreicht werden. Die meisten (erwachsenen) Menschen können weder richtig weinen, noch richtig wütend werden, noch richtig lieben, noch richtig genießen, noch richtig ruhen, noch richtig atmen; und eben auch noch richtig sterben … Durch falsche Programme haben wir uns selbst von elementaren Lebensenergien und Lebenszusammenhängen abgenabelt, mit unserer „objektiven Wissenschaft“ haben wir diese Trennung von unseren Quellen ideologisch zementiert!
Gnade und Trost
Alt werden, würdig alt werden im Hinblick auf den Tod, kann eines der größten Ziele eines recht gelebten menschlichen Lebens sein. Goethe sagt in den „Maximen und Reflexionen“: „Alt werden heißt, selbst ein neues Geschäft antreten, alle Verhältnisse verändern sich, und man muss entweder zu handeln ganz aufhören oder mit Willen und Bewußtsein das neue Rollenfach übernehmen“. Alter kann eine unerhörte Freiheit bringen. Man braucht keine Ambitionen mehr zu haben, muß sich nicht mehr profilieren, das Leben geschieht sozusagen freiwillig. Gestorben hingegen wird am Rand der Welt. Die schöpferische Welt: Die evolutive Welt des Urknalls, der Spiralnebel, Planetensysteme, Ursuppen und Welten des Geistigen sind ewig.
Tod ist immer individuell, jedem muss, wann immer es gewollt wird, das Zurückfallen in das Ganze erlaubt sein. Aus dem Chaos am Rande der Welt nährt sich ihre Ordnung. Und nährt sich so aus ihren Toten, die wieder in sie eingehen? Aber vielleicht ist ja auch die Welt, um eine Formulierung des geistreichen Physikers Georg Christoph Lichtenberg zu übernehmen, „ein Messer ohne Klinge ist, bei dem der Griff fehlt“:
Und das Spiel des Scheins wäre dann in der Tat das allein Wirkliche.
Englische Lyrik des 17. Jahrhunderts – Aus: „Geistliche Sonette“ von John Donne
Wenn Giftsalz, wenn der Baum, der uns den Tod / Mit seiner Frucht gab (einst unsterblich wir), Wenn geile Böcke, Schlangen voller Gier / doch nicht verdammt sind, warum ich, o Not? / Warum macht die Vernunft, in mir geborn, / die gleichen Sünden ärger als beim Tier? / Und Gnade ist doch leicht, ist eine Zier / Für Gott; warum dann droht sein strenger Zorn? / Doch wer bin ich, mit dir Streit zu entzünden? / O Gott! O, mach aus deinem würdgen Blut / Und meinen Tränen Himmels-Lethe-Flut, / Versenk drin das Register meiner Sünden. / Dass du erinnerst, wünscht sich mancher Christ; Ich nenn es Gnade, wenn Du es vergisst.