Doch in der Hölle schlechter Lösungen, die für Syrien im Angebot stehen, sind einige schlimmer als andere. Und die vom russischen Präsidenten Wladimir Putin konzipierte Lösung ist vermutlich die abgefeimteste von allen.
Die russischen Luftschläge konzentrieren sich bisher auf Ziele im Umkreis von Idlib, Homs und Hama – Gegenden, wo laut unabhängigen Beobachtern, Dschihad-Beobachtern und anderen Gruppen, die die von den russischen Behörden selbst online gestellten Videos analysieren, der IS bisher nicht etabliert ist. Das heißt: Das primäre Ziel der russischen Angriffe besteht darin, die das Assad-Regime bekämpfende Opposition insgesamt – einschließlich der demokratischen Opposition – zu schwächen.
Ziel der russischen Intervention ist es also nicht, einen Beitrag zum „Kampf gegen den Terrorismus“ zu leisten, wie das die Propagandaabteilung des Kreml behauptet, sondern um jeden Preis die politische Kontrolle jenes Regimes wiederherzustellen, das den Terrorismus überhaupt erst hervorgebracht hat. Genauer gesagt: Russland verfolgt das Ziel, (nach einer langen Phase der Unterstützung aus der Distanz) eine Diktatur wiederherzustellen, die laut Angaben amerikanischer und französischer Behörden seit 2011 für den Tod von mehr als 250.000 Menschen verantwortlich ist.
Zudem hat das Verhalten des Regimes fraglos dem erschreckenden Aufstieg des IS Auftrieb gegeben, der Assad eine Trumpfkarte in seinem Bemühen um internationale Unterstützung verschafft hat – und Russland ein Feigenblatt.
Man könnte argumentieren, dass die Vergangenheit Vergangenheit ist und die russische Intervention angesichts der allgemeinen Katastrophe in Syrien zumindest den Vorteil hat, den freien Fall des Landes aufzuhalten. Doch die erste Folge von Putins Offensive – die sich auf in den beiden Tschetschenienkriegen eingesetzte Methoden stützt und sich (gelinde gesagt) nicht mit von westlichen Streitkräften verfolgten Vorsichtsmaßnahmen aufhält – wird sein, dass sich die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung erhöht und nicht verringert.
Putins Verhalten fördert mehr Flüchtige
Die Welt war zu Recht schockiert vom jüngsten Fehltritt der USA, die das von Ärzte ohne Grenzen betriebene Krankenhaus im afghanischen Kundus bombardierten. Doch wie viele syrische Kunduse werden aus den russischen Luftschlägen folgen, wenn der Kreml anstelle von Lenkraketen weiterhin ungelenkte Bomben einsetzt? (Dies ist nur ein Beispiel der russischen Taktik, aber eines, das viel darüber aussagt, wie Putin sein aktuelles außenpolitisches Abenteuer vorantreiben will.)
Glaubt denn irgendjemand auch nur eine Sekunde, dass die russische Intervention die syrische Flüchtlingskrise abmildern wird, statt sie zu verstärken? Putins Methoden zwingen Zehntausende Zivilisten zur Flucht vor rücksichtslosen Luftschlägen, bereiten den Todesschwadronen eines Regimes den Weg, das in den letzten Monaten Anzeichen der Erschöpfung zeigte, und machen jede verbleibende Hoffnung auf die Schaffung effektiver Sicherheitszonen in Nordjordanien und der Südtürkei zunichte.
Selbst die letzten verbleibenden Gegner des Regimes werden sich jetzt auf nach Europa machen. Allerdings nicht nach Russland, da gebe man sich keiner Täuschung hin: Anders als Deutschland oder Frankreich wird Putin nicht zögern, den Flüchtlingen von morgen, die er terrorisiert, die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
Auch macht Putin kein Geheimnis aus seinen Absichten in Syrien. Eine im Westen seltsamerweise ignorierte Meldung der russischen Medien besagt, dass der Raketenkreuzer „Moskva“ mit Dutzenden von Luftabwehrraketen nach Latakia verlegt wurde.
Doch hat sich der IS nicht heimlich und nur dem Kreml bekannt Kampfflieger verschafft, die man ausschalten müsste. Vielmehr betrachtet Putin offensichtlich alle Flugzeuge als legitime Ziele, die Gebiete überfliegen, welche er als unter seiner Kontrolle stehend ansieht. Und weil alle derartigen Flugzeuge zwangsläufig die Flagge der USA, Großbritanniens, Frankreichs, der Türkei oder eines anderen Mitgliedes der den IS bekämpfenden Koalition führen würden, kann man sich unschwer vorzustellen, wie ein russisches Engagement zur internationalen Eskalation des syrischen Bürgerkriegs führen könnte.
Zum Glück ist es noch nicht so weit. Nur sollten wir uns nicht vormachen, dass die russischen Militäroperationen, die bis dato ausschließlich auf eine russische Beherrschung des syrischen Luftraums und den Schutz seiner Interessen am Boden abzielen, die Bemühungen, den IS zu besiegen, unterstützen.
Putin ist nicht nur ein Brandstifter im Gewand eines Feuerwehrmanns; er ist ein Imperialist alter Schule. Seine Operation in Syrien ist teilweise darauf ausgelegt, die Aufmerksamkeit von seiner Zerstückelung der Ukraine abzulenken. Und seine kaum verhüllten Drohungen gegenüber den baltischen Staaten, Polen, Finnland und zuletzt der Türkei – deren Luftraum und Beziehungen zur NATO durch russische Flugzeuge getestet wurden – lassen eine Strategie der Aggression erkennen, deren Hauptziel in einer Schwächung Europas besteht.
Die Europäer müssen sich Putins Absicht bewusst machen, bevor es zu spät ist. In Frankreich entwickeln sich die Sirenenklänge des Appeasements zu einem nationalen Sammelruf, der vom rechtsextremen Front National bis zu weit links stehenden Elementen reicht und zunehmend Politiker aller etablierten Parteien umfasst. Tatsächlich hat der Kreml emsig seine Beziehungen zu den Parteiführungen überall in Europa gepflegt und ein Netz unsichtbarer Verbindungen geschaffen, das man als „Putins Partei“ in Europa bezeichnen könnte.
Würde Putins Partei nur die üblichen populistischen Demagogen innerhalb Europas umfassen – von Nigel Farage in Großbritannien hin zu Viktor Orbán in Ungarn –, wäre das schlimm genug. Doch wenn selbst Politiker wie der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, die normalerweise als verantwortliche Staatsmänner gelten, Putins Handeln zu rechtfertigen beginnen, riskiert Europa, genau jene Sicherheit zu verspielen, auf der sein Wohlstand gründet.