Die beste, die bestgemeinte Erinnerung ist vergebens, wenn sich kein lebendiges Miteinander von nichtjüdischen und jüdischen Deutschen daraus entwickelt.
Weltweit wird die Republik für ihre selbstkritische Geschichtsreflexion gelobt als Weltmeister der Erinnerungskultur sozusagen, die sich ein Holocaust-Mahnmal in die Mitte seiner Hauptstadt baut.
Aber was nützt dieser nie offiziell vergebene Weltmeistertitel, wenn Juden sich in diesem Land nicht sicher fühlen können? Die beste, bestgemeinte Erinnerung ist vergebens, wenn sich kein neues lebendiges Miteinander von nichtjüdischen und jüdischen Deutschen daraus entwickelt.
- Keine Empathie entwickelt
Für dieses Missverhältnis gibt es eine Ursache. Kürzlich wurde darauf hingewiesen, über Generationen sei Wissen über die Shoah an deutschen Schulen zwar intensiv vermittelt worden, das sei aber weitgehend ohne Beziehung geschehen: ohne Beziehung zur eigenen, nichtjüdischen Familiengeschichte, ohne Beziehung zu jüdischen Überlebenden, ohne Beziehung zu der Frage: „Was hat das eigentlich mit mir zu tun?“ Das Ergebnis ist etwas „Monströses“: Ein Volk hat seine Lektion gelernt – die meisten sind dabei aber gefühlskalt geblieben. Als Menschen abgespalten von dieser Geschichte, haben viele, zu viele keine Empathie entwickelt: weder für die Opfer noch für die Überlebenden.
„Wir haben uns schuldig gemacht“ – 76 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung haben Volkswagen, Daimler, Deutsche Bahn, die Deutsche Bank und Borussia Dortmund gemeinsam mit dem Freundeskreis der Gedenkstätte Yad Vashem den Opfern des Holocaust gedacht und sich auch zu ihrer eigenen Schuld bekannt.
Deshalb haben diejenigen recht, die einen Paradigmenwechsel in der Darstellung und in der Vermittlung der Geschichte der Shoah in Deutschland fordern. Heute, 76 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, ist es dafür sehr spät, aber noch nicht zu spät.
Neuer Zugang zur deutschen Schuldgeschichte
Ein gutes Beispiel für das Bemühen, Geschichte im lebendigen Miteinander zu lernen, geben dieser Tage fünf deutsche Unternehmen und der Fußballclub Borussia Dortmund. Es ist beachtlich, wie sich die Spitzenmanager zur je eigenen Schuldgeschichte ihrer Unternehmen im Nationalsozialismus und zur Verantwortung für das lebendige Judentum im heutigen Deutschland bekannten. Jeder einzelne trat dabei empathisch und authentisch auf. Heute schicken die fünf Unternehmen Auszubildende in die Jugendbegegnungsstätte in Auschwitz oder finanzieren den Bau eines „Hauses der Erinnerungen“ in der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Mehr noch: Vor aller Augen und Ohren haben sie die Antisemitismus-Definition der Internationalen Holocaust-Erinnerungs-Allianz angenommen, die auch Israel-bezogenen Judenhass einschließt.
Mit solchen Taten kann er gelingen, der neue Zugang zur deutschen Schuldgeschichte. Und auf der Basis solcher Zeichen können Beziehungen wachsen: persönliche Beziehungen zur Geschichte der Shoah und Beziehungen zwischen Nichtjuden und Juden. Das Ziel allen Erinnerns sollten Beziehungen sein – und eine Gesellschaft, in deren Mitte Juden ohne Polizeischutz leben können – sicher und sichtbar.
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