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Joe Biden hat mit seiner „Victory“-Speech einen versöhnlichen Ton angeschlagen und möchte in den gespaltenen U.S.A. Brücken bauen, um die gesellschaftliche Spaltung überwinden. Diese Haltung sollte auch in Deutschland Schule machen.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass Joe Biden, der designierte 46. Präsident der USA, sich bei seiner „Victory-Speech“ Samstagabend in seiner Heimatstadt Wilmington im Bundesstaat Delaware den 2006 verstorbenen SPD-Politiker Johannes Rau zum Vorbild genommen hat. Und dennoch waren Bidens Worte eine nahezu perfekte Umsetzung jenes Mottos, das der ehemalige Bundespräsident (1999-2004) anlässlich seiner vergeblichen Kanzlerkandidatur 1987 ausgegeben hatte: „Versöhnen statt spalten“. Ab dieser Zeit stand dieser Spruch für Rau, wurde zu Rau und Rau wurde zu ihm.
Nicht selten wurde der Slogan belächelt, galt irgendwann als naiv und altbacken, als geradezu typisch für „Bruder Johannes“, wie der tiefgläubige Protestant und gebürtige Wuppertaler in Nordrhein-Westfalen oft genannt wurde. Doch das war lange vor den heutigen, polarisierten Zeiten, vor dem Aufstieg des Rechtspopulismus, dem zornigen Gekeife auf Twitter und dem Einzug der personifizierten Wut in Gestalt von Donald Trump in das Weiße Haus und damit in den politischen Olymp der westlichen Welt.
Warmherzig, zugewandt, empathisch –
Was Biden von Hillary Clinton unterscheidet
Seit der Rede Bidens zeigt sich, welch immense Kraft die Bereitschaft zur Versöhnung entfalten und welche Luft sie aus den Wutblasen des Internets sowie aus Trump bisher zugeneigten Medien herauslassen kann. Und wie die ernstgemeinte Bereitschaft zur Güte das unwürdige Schauspiel, das der abgewählte Donald Trump mit seinem in Großbuchstaben getwitterten Geschrei vom „Wahlbetrug“ und Parolen wie „Wir werden gewinnen“ aufführt, um bloß die eigene Niederlage nicht anerkennen zu müssen, noch kleiner erscheinen lässt als es das ohnehin schon ist. Trump wirkt längst wie ein Kleinkind beim Topfschlagen, das immer rasender und wahlloser ins Leere haut. Doch genau damit steigert er den Kontrast zu dem besonnenen Biden.
Der künftige Präsident ist zudem all das, was Hillary Clinton, die 2016 bei der damaligen Präsidentschaftswahl gegen Trump unterlag, nicht ist. Warmherzig, zugewandt, empathisch. Clintons Niederlage ist nach Ansicht vieler maßgeblich drauf zurückzuführen, dass sie im damaligen Wahlkampf sagte, rund die Hälfte der Trump-Anhänger gehöre in einen „basket of deplorables“, also in einen „Korb der Bedauernswerten“. Wer so redet, hat nicht die geringste Ahnung von Psychologie. Und vermag nicht zwischen Haltung und Person zu unterscheiden.
Brückenbauen statt Gegenwut gegenüber Rechtspopulisten
Ohne hier zeternde Rechtspopulisten und ihre oft menschenverachtenden Sprüche in Schutz nehmen zu wollen: Gegenwut macht es nicht besser. Wer ernsthaft „mit Rechten“ ‑ im Sinne von Leuten, die sich von rechten Ideenwelten haben verführen und verkapseln lassen ‑ „redet“, kann durchaus die Erfahrung machen, das sich diese scheinbar in ihrem Ressentiment gefangenen Menschen öffnen, wenn man ihnen zwar hart in der Sache, im Ton aber freundlich begegnet. Letztlich geht es um Würde, und dementsprechend auch diesen Leuten darum, dass man ihnen zuhört, so schwer einem das auch fallen mag. Oft, die Verfasserin spricht aus Erfahrung, zerbricht die harte Schale dann schnell. Jedenfalls bei jenen, die sich eine Restoffenheit bewahrt haben.
Joe Biden hat das ganz offenbar verstanden.
In seiner Rede sagte er – sprachlich ganz nah dran an Johannes Rau -, dass er nicht versuchen wolle, „zu teilen, sondern zu vereinen“. Er wolle die „Mittelschicht stärken“, die „Seele Amerikas wiederherstellen“. Biden wandte sich sogar explizit an die Trump-Anhänger, betonte, dass er ihre Enttäuschung verstehe, schließlich habe er selbst mehrere Wahlen verloren, womit er seine vergeblichen Kandidaturen in den „Primaries“, sprich den Vorwahlkämpfen der „Demokratischen Partei“ zu den Präsidentschaftswahlen in den Jahren 1988 und 2008 meinte. Nun aber sei es an der Zeit, „sich die Hand zu geben“, die „harsche Rhetorik beiseite zu schieben“, „einander wideranzusehen“ und „einander wiederzuzuhören“.
Gegner nicht als Feinde behandeln
Und dann fiel der entscheidende Satz, der wie kein zweiter den Wesensunterschied zwischen dem 77-jährigen Biden und dem drei Jahre jüngeren Trump markiert: „Um Fortschritte zu erzielen, müssen wir aufhören, unsere Gegner als unsere Feinde zu behandeln. Wir sind keine Feinde. Wir sind Amerikaner.“ Trump hingegen hat sich längst als de facto Jünger – de facto deshalb, weil er als nicht sonderlich belesen gilt – von Carl Schmitt erwiesen, der in der Unterscheidung zwischen Freund und Feind den Kern des Politischen sah. So hat der Noch-US-Präsident etwa die etablierten Medien bereits 2018 zu „Feinden des Volkes“ erklärt. Und sich auch sonst in Permanenz einer Freund-Feind-Rhetorik bedient, über die sich nicht zuletzt seine rechtsevangelikale Fanbase, für die Respekt vor Andersdenkenden wenig, die eigene Meinungsfreiheit und Feindbildpflege aber alles ist, gefreut hat. Wie es überhaupt seit den 70er Jahren in den USA zu dieser unheiligen Allianz zwischen weißen Evangelikalen und dem rechten Flügel der „Republikaner“ kommen konnte, haben jüngst der evangelische Theologe Thorsten Dietz und der Medienpädagoge Martin Christian Hünerhoff, beide mit evangelikaler Frömmigkeit vertraut ,in ihrem Podcast „Das Wort und das Fleisch“ im Detail dargelegt.
Mit Biden, dem gläubigen, moderaten katholischen Christen, zieht hingegen ausweislich seiner Rede wie gesagt so etwas wie Güte in das Weiße Haus ein. Ganz in amerikanischer Tradition beruft er sich auch auf Gott, aber sanft und – im theologischen Sinn – neutestamentlich, indem er die in der Bibel angesprochene „Zeit der Heilung“ anspricht. Darin unterscheidet er sich von Trumps „spiritueller Beraterin“ Paula White und von anderen Rechtsevangelikalen, die Gott für ihre politreligiöse Agenda instrumentalisieren. Und auch von Trumps Antrittsrede im Januar 2017, die, so der Theologe Ulrich Berges damals im „Deutschlandfunk“, alttestamentlich geprägt war und keine Bezüge zu Jesus Christus, zur Nächstenliebe, zur Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung“ aufwies.
Die Wirkung eben jener Güte Bidens war bereits sofort nach seiner Siegesrede spürbar, und zwar ausgerechnet auf „Fox News“, bis vor der Wahl gewissermaßen ein TV-Sender voller Hofberichterstattung für Trump, der jedoch zu dessen großem Ärger als erster Biden zum Sieger im Bundesstaat Arizona erklärt hatte. Unmittelbar im Anschluss an Bidens Worte sagte ein Kommentator des Senders, die Rede sei ein „sehr guter Start“ gewesen. In der Rhetorik zwar nicht so geschliffen wie die Worte von Barack Obama und John F. Kennedy, dafür aber im Sound der „Middle Class“ gehalten. Das kann man als Kompliment verstehen, denn bekanntlich echauffieren sich Trump-Fans auf beiden Seiten des Atlantiks gerne über das angebliche „Abgehobensein“ der von ihnen verhassten „linksliberalen Eliten“.
Zwischen Fanatikern und Menschen trennen, mit denen man noch reden kann
Schaut man sich in den sozialen Medien-Welten der deutschen, darunter auch der rechtschristlichen Trump-Anhänger um, so ergibt sich ebenfalls ein verblüffend heterogenes Bild. Manche sind durchaus über das narzisstisch anmutende Verhalten Trumps irritiert, der beweislos zetert, wütet und nicht verlieren kann. Andere, sich betont tugendhafte Gebende hingegen lassen in ihrem sektenhaften Verhalten immer noch nichts auf ihren Helden kommen, nur weil selbiger sich opportunistisch auf die Seite der Abtreibungsgegner geschlagen hat, obwohl er gegen Ende der 90er noch die gegenteilige Position eingenommen hatte. Dass Trump mit Moral und Ethik nichts am Hut hat, sondern sich damit brüstet, Frauen nach gusto in den Schritt fassen zu können, blenden diese Leute ohnehin schon länger aus. Mit solchen Fanatikern wird eine Diskussion nichts bringen. Aber um diejenigen, die sich eine Restvernunft bewahrt haben, sollte man ringen. Auch hierzulande. Und sich insoweit durch Joe Biden ermutigt fühlen.