Quantcast
Channel: Kirche & Bodenpersonal – Neue Rundschau
Viewing all articles
Browse latest Browse all 464

Polemiken müssen – nicht nur weil sie zur Aufklärung beitragen – um der Sache willen Empfindlichkeiten verletzen dürfen. Noch ist der Islam hierzulande nicht zuhause …

$
0
0

wage_zu_denkengot_in_vino_veritas-300x247Der Islam macht sich gerade auf, in einigen Ländern die zweite Religion Europas zu werden. Daraus bezieht er das Recht zur freien Religionsausübung, auf angemessene Gebetsstätten und unseren ganzen Respekt. Und zwar unter der Bedingung, dass er selbst die republikanischen und laizistischen Regeln beachtet, keinen anderen Religionen verweigerten extraterritorialen Status für sich beansprucht, und keine Sonderrechte und Ausnahmen bei Schwimmen und Sport für Frauen und Geschlechtertrennung im Unterricht oder andere Vorrechte fordert.

Dieses Problem steht in einem spannungsreichen internationalen Kontext: Eine Welle des Fundamentalismus brandet gegen Europa, ein Versuch, die der Laschheit beschuldigten muslimischen Gemeinden zu reislamisieren und zuletzt den ganzen Kontinent der Ungläubigen unter das Gesetz des Propheten zu stellen. Diese Bewegung wird von unterschiedlichen revanchistischen Gruppen getragen, den saudischen Wahabiten, der Muslimbruderschaft, den Salafisten, die untereinander selbst um die radikalste Position wetteifern. Umso wichtiger ist es, klar zu machen, dass wir (wenn schon) die Entstehung eines aufgeklärten europäischen Islam bevorzugen, der als Modell für Muslime in der ganzen Welt dienen kann.

Puzzle-Unsinn_Gerd-Altmann_pixelio.de_Wir haben in dieser Hinsicht die Wahl zwischen zwei Richtungen. Die eine ist eher angelsächsischer Prägung und beharrt auf einem strikten Differentialismus, der auf dem Respekt vor den Konfessionen und der Religionszugehörigkeit beruht – ein Modell, für das das multikulturelle Kanada das Vorbild bleibt. Die andere ist die eher französisch inspirierte, die auf der strikten Trennung von Kirche und Staat beruht und den Glauben dem Zivilrecht unterordnet. Auch wenn, wie Timothy Garton Ash zurecht feststellt, beide Modelle in der Krise sind, scheint mir, dass das laizistische französische Modell in jeder Hinsicht den besseren Kompass abgibt – wie es in hier der Bundesrepublik nach unser Verfassung ja (eigentlich) auch zu sein haben würde!

Weil nämlich das moderne Frankreich gegen die katholische Kirche entstanden ist, hat es sich eine große Empfindlichkeit für jeden religiösen Fanatismus bewahrt. Wir meinen, dass Jacques Chirac, unterstützt von der Kommission des Politikers Bernard Stasi, im Recht war, als er dem Parlament ein Gesetz zum Verbot religiöser Symbole in der Schule und den Behörden vorschlug. Diese Initiative war erfolgreich,  sie hat die Streitpunkte auf ein Minimum reduziert. Eine Mehrheit der französischen Muslima haben ihm, auf ihre Emanzipation bedacht, zugestimmt.

kreuz_minarettz„Im Streit zwischen Schwachen und Starken hilft die Freiheit, die Schwachen zu unterdrücken, während das Gesetz sie schützt“, sagte der Abbe Gregoire während der Revolution. Das ist so wahr, dass eine Reihe veranwortungsvoller Politiker in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland, schockiert von den unter islamischer Flagge verübten Exzessen, nun ihrerseits Gesetze gegen religiöse Symbole im öffentlichen Raum erlassen wollen. Die Trennung zwischen dem Spirituellen und dem Weltlichen muß strikt bleiben und der Glaube muß sich auf den Privatbereich beschränken.

Es genügt nicht, den Terrorismus zu verurteilen. Zugleich muß sich die Religion, die ihm Nahrung gibt und auf die er sich zu Recht oder zu Unrecht beruft, verändern. Kann man die Inquisition, die Hexenverbrennungen, die Kreuzzüge, die Verurteilung der Häretiker verstehen, ohne sich auf die römische Theologie zu beziehen? Dem Islam muß gelingen, was das Christentum seit dem 15. Jahrhundert geschafft hat: Er muß (immerhin hat die katholische Kirche vor etwa 20 Jahren eingeräumt, die Erde sei keine Scheibe, sondern eine Kugel!) sich der Moderne fügen und sich an die heutigen Mentalitäten anpassen.

Es scheint in Vergessenheit geraten, dass der Kampf in Europa gegen die Kirche mit sektiererischem Eifer und – von beiden Seiten – mit unerhörter Brutalität geführt wurde, dass die Kathedralen brannten, Priester, Bischöfe und Nonnen aufgeknüpft und guillotiniert worden sind und Kircheneigentum eingezogen wurde. Aber letztlich hat uns diese Schlacht aus der Bevormundung durch die Kirche befreit und Rom sowie die verschiedenen Richtungen des Protestantismus zu radikalen Einschränkungen ihres Anspruchs geführt, die Gesellschaftsordnung zu bestimmen, die Bewusstsein und die Körper zu administrieren. Es gibt keinen Grund, dass der Islam in dem Moment, in dem er in den demokratischen Raum des Westens eintritt, dieser Säkularisierungsbewegung entgehen und Sonderrechte genießen dürfte, die anderen Konfessionen verwehrt bleiben.

Religioese-SymboleDa es doch aber christliche und jüdische Krankenhäuser gibt, oder die Frage für Musliminnen reservierter Strände, da es doch Strände für Nudisten gibt, also alles eine Frage des Geschmacks ist, hat Necla Kelek die treffende Antwort gefunden: „Es ist die Absicht der Islamisten, im ganzen sozialen Raum eine vertikale Segregation zwischen Männern und Frauen zu installieren, im Bereich der Medizin wie der Freizeit und der Bildung, und also im Inneren der offenen Gesellschaften ein freiwilliges Apartheidregime zu errichten“. Man sieht, was hinter dieser Verteidigung des Multikulturalismus im Namen der Toleranz steckt: sie endet mit der Abschaffung der gemeinsamen Welt. Vom Recht auf die Differenz gelangt man rasch zur Differenz der Rechte, mit der man die Gläubigen vor der Verschmutzung mit gottlosen und also unreinen Ideen und Verhaltensweisen bewahren will.

Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!  Aufklärung“ – Kant 1784Kant

Es scheint mir keine gute Idee, den Dialog mit den Konservativen zu suchen, nur weil sie nicht offen zum heiligen Krieg aufrufen. Man vergibt die Chance, den Islam zu reformieren und begnügt sich mit dem Gewaltverzicht. Und den gemäßigten Fundamentalismus dem Terrorismus vorzuziehen, trägt das Risiko in sich, beides zu bekommen: Orthodoxie und Extremisten, Bartträger und Kamikaze-Krieger, Hassprediger und Bomben, Pest und Cholera. Schließlich hat das obskurantistische Regime in Saudi-Arabien die Entstehung der Al Qaida nicht verhindert.

denkenAuf dem Spiel steht die Chance, dass der Islam sich früher oder später, wie Rom mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil  einer wirklichen Aktualisierung unterzieht, klarsichtig sein Verhältnis zur Gewalt und zur Weltherrschaft befragt und kritisch die vierzehn Jahrhunderte seiner Geschichte analysiert. Der Kampf gegen den Fundamentalismus ist nicht möglich ohne die Muslime, da sie die wirklichen Opfer sind. Die hellsichtigsten, die moderatesten unter ihnen beschwören uns, ihnen zu helfen. Die Angelegenheit ist  ernst. Wir müssen uns für die richtigen Methoden und die richtigen Verbündeten entscheiden. Wegschauen hilft nicht weiter, diese Spruchweisheit freilich auch nicht: „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“.  Aber …


Viewing all articles
Browse latest Browse all 464