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Channel: Kirche & Bodenpersonal – Neue Rundschau
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Es ist gut, wenn die „Judensäue“ sichtbar bleiben und und auch künftig weiter mahnen

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Seit dem 13. Jahrhundert hängt an der Wittenberger Stadtkirche ein antisemitisches Relief. Es darf hängen bleiben, wie nun der Bundesgerichtshof entschieden hat. An ihrem inhaltlichen Urteil über die „Wittenberger Judensau“ allerdings ließen die Richter keinen Zweifel. Von Anfang an habe das Relief immer nur der Diffamierung und Verunglimpfung von Juden gedient, so der Bundesgerichtshof. Es sei kaum eine bildliche Darstellung denkbar, die unserer Rechtsordnung in höherem Maße widerspreche.

Eine Entfernung verlangt dieselbe Rechtsordnung aus Sicht der obersten Richter allerdings nicht. Schließlich hätten mehrere Möglichkeiten bestanden, die Schmähung „abzustellen“. Hierzu zähle der Weg, den die Kirche gewählt habe: die Umwandlung des „Schandmals“ in ein Mahnmal und Zeugnis für ihre Jahrhunderte währende Judenfeindlichkeit. Die Kirche dürfe selbst entscheiden, zu welchem Mittel sie hierbei greife.

Die „Judensau“ hängt seit dem 13. Jahrhundert an der Außenfassade der Stadtkirche von Wittenberg und zeigt einen Rabbiner, der einem Schwein unter den Schwanz in den After schaut. Zu sehen sind zudem zwei weitere Juden, die an den Zitzen des Tieres saugen, das im Judentum als unrein gilt. Nach der Reformation wurde der schmähende Charakter noch verschärft. Seitdem nimmt die Inschrift „Rabini Schem Ha Mphoras“ unmittelbar Bezug auf den Antisemitismus Martin Luthers, der in der Stadtkirche zigfach gepredigt hat.

Informationstafel wurde angebracht

50 Jahre nach Beginn der Judenpogrome im Nationalsozialismus ließ die Kirchengemeinde 1988 eine Bodenplatte vor der „Wittenberger Sau“ verlegen, mit der sie sich von dem antisemitischen Relief distanzierte. Der umlaufende Text verbindet die Inschrift der Schmähplastik mit dem Holocaust. Auch eine Informationstafel wurde inzwischen aufgestellt.
Michael Düllmann, der selbst Jude ist, hält das nicht für ausreichend. Er setzt sich seit Jahren für die Entfernung des Reliefs ein. Schon in den Vorinstanzen berief er sich darauf, dass eine Beleidigung auch dann eine Beleidigung bleibe, wenn man sie kommentiere. Im vergangenen Jahr scheiterte Düllmann mit seiner Klage vor dem Oberlandesgericht Naumburg. Die Richter teilten sein inhaltliches Urteil über das Relief, verwiesen aber auf die öffentlich sichtbaren Distanzierungen der Kirchengemeinde.

Relief verhöhnt Judentum

Das hat nun auch der für das allgemeine Persönlichkeitsrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs getan. Wie nach der mündlichen Verhandlung Ende Mai angekündigt, haben sich die Richter ausführlich mit dem Fall befasst. Darauf deutet auch die Mitteilung des Gerichts hin; das schriftliche Urteil war am Dienstag noch nicht veröffentlicht.

Der Senat stellt zunächst klar, dass die „Wittenberger Sau“ jedenfalls bis 1988 „einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt“ hatte und „Judenfeindlichkeit und Hass“ zum Ausdruck brachte. Düllmann sei auch berechtigt, das Relief gerichtlich zu beanstanden; isoliert betrachtet verhöhne und verunglimpfe das Relief schließlich das Judentum als Ganzes. Der „Geltungs- und Achtungsanspruch eines jeden in Deutschland lebenden Juden“ werde durch die Darstellung unmittelbar angegriffen, so das Gericht. „Denn diese Personengruppe ist durch den nationalsozialistischen Völkermord zu einer Einheit verbunden, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lässt.“

Inzwischen habe die Wittenberger Kirchengemeinde das „Schandmal“ aber in ein Mahnmal zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden bis hin zur Schoah umgewandelt und sich von der diffamierenden und judenfeindlichen Aussage distanziert.

Zumindest auf zivilrechtlicher Ebene hat der Bundesgerichtshof damit einen jahrelangen Streit beendet, der nicht nur unter Juristen erbittert geführt worden war. Die Diskussion um das Wittenberger Relief hat vielmehr eine allgemeine Debatte über den Umgang mit judenfeindlichen Spuren der Vergangenheit ausgelöst. Insbesondere angesichts des wieder aufkeimenden Antisemitismus wird diskutiert, ob es – auch aus anderen als juristischen Gründen – sinnvoll sein könnte, die in Deutschland noch zahlreich vorhandenen Schmähplastiken zu entfernen.

Die evangelische Kirche reagierte am Dienstag erleichtert auf das Urteil. Gleichzeitig versprach sie, sich intensiver mit judenfeindlichen Traditionen in Bildern und Texten auseinanderzusetzen: „Als evangelische Kirche müssen wir bis an die Grundfesten der Theologie der Reformation gehen, um dort die antijüdischen Inhalte aufzuspüren und zu verändern“, sagte der Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den Kampf gegen Antisemitismus, Christian Staffa.

Die Skulpturen sollten Orte des immer wieder neuen Erschreckens sein

Die jahrhundertelange Judenfeindschaft der Christen gehört weder musealisiert noch unsichtbar gemacht. Sie muss die heutigen Christen treffen, verstören, ihre Selbstsicherheit erschüttern, dass so etwas nicht mehr möglich ist. Es wäre ja auch für die Kirchengemeinden eine bequeme Entsorgung: Da war mal was, aber da ist nichts mehr. Nur: Da ist noch was. Es haben ja die Schuld- und Reuebekundungen der Kirchenleitungen und Theologen nicht den Antisemitismus unter den Christen ausgerottet – man frage einmal nach, welche Mails in Landeskirchenämtern und Ordinariaten ankommen, wenn sich dort jemand klar auf die Seite der jüdischen Gemeinschaft stellt.
Deshalb wäre es gut, wenn die „Judensäue“ sichtbar blieben, als klar gekennzeichnete Mahnmale der Schande. Sie sollten Orte des immer wieder neuen Erschreckens sein. Gerade dort, wo die Christen ihre Gottesdienste feiern, die Erinnerung an Leid und Tod Jesu, muss der Schmerz über den Verrat an der Nächstenliebe seinen Platz haben. Allein dafür muss man dem Kläger gegen die Wittenberger „Judensau“ dankbar sein: Ohne seinen Zorn gäbe es diese Chance nicht.


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