In den 1880er Jahren unterwarf die deutsche Kaiserliche Kriegsmarine einen Teil von Neuguinea und umliegender Inseln. Mit dabei war ein Urgroßonkel des Autors, der Militärgeistliche Gottlob Johannes Aly. Aus dessen Erinnerungen und zahlreichen anderen Dokumenten wird deutlich, dass die meisten Artefakte aus diesem Teil der Welt geraubt oder ergaunert wurden. Das gilt auch für das Paradeobjekt der Berliner ethnologischen Sammlung und des Humboldt Forums, das große Südseeboot von der Insel Luf.
Neben Denkmälern und Straßennamen zeugen zauberhafte Museumsobjekte von den einstigen Kolonien – doch wie sind zu uns gekommen und woher stammen sie? Götz Aly deckt auf, dass es sich in den allermeisten Fällen koloniale Raubkunst handelt, und erzählt, wie brutal deutsche Händler, Abenteurer und Ethnologen in der Südsee auf Raubzug gingen. So auch auf der Insel Luf: Dort zerstörten sie Hütten und Boote und rotteten die Bewohner fast vollständig aus.
In seinem gerde erschienener Buch „Das Prachtboot“ erzählt der Historiker Götz Aly die erschreckende Geschichte eines der spektakulärsten Objekte, das im Humboldt-Forum gezeigt werden wird: des „Luf-Boots“, das, so Aly, 1903 in der damaligen Kolonie Deutsch-Guinea geraubt wurde. Bisher hatte Hermann Parzinger, der als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) verantwortlich ist für die Ausstellung des Ethnologischen Museums, stets erklärt, das Boot sei „erworben“ worden.
Eine Sprecherin der SPK erklärte, man werde das Boot zwar weiterhin zeigen – jetzt aber nur als „Mahnmal der Schrecken der deutschen Kolonialzeit“. Auf die Herkunft des Boots und die Strafexpedition, in deren Zuge etwa die Hälfte der Bewohner getötet wurde, soll in der Ausstellung eingegangen werden.
Der Generalintendant des Humboldt-Forums, Hartmut Dorgerloh, äußerte sich ausweichend auf die Frage, wie ein Exponat, das auf diese Weise nach Deutschland kam, Teil einer Institution sein kann, deren Ziel kultureller Dialog und Verständigung ist. Er bezeichnete Alys Buch als „informativen und wertvollen Beitrag zur bislang zu wenig beachteten Geschichte des deutschen Kolonialismus in Ozeanien“. Es werfe „wichtige Fragen auf: nicht nur zur Herkunft des Luf-Bootes (…) sowie zu dessen kolonialem Kontext, sondern auch zur Geschichte der Ethnologie“. Genau diese Fragen sollen, so Dorgerloh, im Humboldt-Forum diskutiert werden.
Ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Monika Grütters schrieb, diese habe keinen Grund, am verantwortungsvollen Umgang der Museen „mit sensiblen Kulturgütern“, zu zweifeln. „Sie erwartet daher selbstverständlich auch in Bezug auf das Luf-Boot im Humboldt-Forum und anderer aus dieser Region stammender Objekte (…) Transparenz über deren Herkunft und bei deren musealer Präsentation.“
1902 rissen Hamburger Kaufleute das letzte, von den Überlebenden kunstvoll geschaffene, hochseetüchtige Auslegerboot an sich. Heute ist das weltweit einmalige Prachtstück im Entree des Berliner Humboldt Forums zu sehen.
Götz Aly dokumentiert die Gewalt, Zerstörungswut und Gier, mit der deutsche »Strafexpeditionen« über die kulturellen Schätze herfielen. Das Publikum sollte und soll sie bestaunen – aber bis heute möglichst wenig vom Leid der ausgeraubten Völker erfahren. Ein Beitrag zur Debatte über Raubkunst, Kolonialismus und Rassismus und zugleich ein erschütterndes Stück deutscher Geschichte.
Das Luf-Boot taugt so gut als Werbeträger für Deutschlands neues Parademuseum, weil es aus der Südsee stammt. Von den Kolonien in Afrika und vom Kunstraub dort hat man in den letzten Jahren viel gehört. Das „Schutzgebiet“ Deutsch-Neuguinea, das sich über 3000 Kilometer im Pazifik erstreckte, kam kaum vor. Dort, so der vage Eindruck, ging es menschlicher zu.
Um ganz sicherzugehen, wurde das Luf-Boot vor dem Umzug nicht nur „entwest“, also von Ungeziefer befreit, sondern auch moralisch gereinigt. SPK-Präsident Hermann Parzinger beteuerte, es sei „erworben“ worden, keine Raubkunst also.
In diesem Buch entlarvt der Historiker Götz Aly nicht nur die Geschichte vom „Erwerb“ des Boots als unhaltbar. Er erzählt auch, wie die Deutschen die Bewohner der Hermitinseln im Bismarck-Archipel, deren größte die Insel Luf ist, töteten, vergewaltigten und zur Zwangsarbeit auf den Kokosplantagen verschleppten. Kein Wunder, dass das Boot so einzigartig ist. Die Deutschen haben das Boot gerettet, aber mit ihrem „indirekten Völkermord“ (Aly) die Kultur der Inselbewohner ausgelöscht.
·
Götz Aly: Das Prachtboot
Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021,
234 Seiten, gebunden, 21 Euro
Erschienen am 10. Mai 2021