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Channel: Kirche & Bodenpersonal – Neue Rundschau
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Nix gewußt von gar nix? Das läßt sich so jedenfalls nicht mehr: Glauben

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Bittere Ironie: Mit einer Installation, die an Karnevalswagen erinnert, protestierten Kritiker vor dem Kölner Dom gegen den fahrlässigen Umgang mit Missbrauchsfällen im Bistum Köln

Das zweite Kölner Missbrauchsgutachten entlastet Kardinal Woelki, belastet aber viele andere. Den verstorbenen Kardinal Joachim Meisner überführt es der Lüge – und ein noch amtierender Erzbischof muss nun zittern:

Kardinal Rainer Maria Woelki kommt ganz zuletzt, mit Markus Hofmann, seinem Generalvikar.
Woelki geht gebeugt. Vorne in der ersten Reihe ist ein Platz für ihn reserviert. Später, als es vorbei ist, wird er mit rauer Stimme sagen:
„Ich habe diesen Tag herbeigesehnt, darauf hingelebt, seit langem. Und ich habe diesen Tag wahrlich gefürchtet wie nichts anderes.“

Es ist der 18. März um zehn Uhr im Maternushaus in Köln: Der Befreiungsschlag sollte es werden, für den Kölner Erzbischof, für das in seinen Grundfesten erschütterte Erzbistum. Nach dem katastrophalen Umgang mit dem Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, das wegen angeblicher methodischer Mängel und äußerungsrechtlicher Probleme unter Verschluss blieb und erst kommenden Donnerstag nach Voranmeldung vor Ort eingesehen werden kann, will Woelki nun sein Bild geraderücken: Nicht der Verhinderer will er sein, sondern der schonungslose Aufklärer.

Meisners Sündenregister ist dunkelrot, der Kleriker Stefan Heße windet sich noch

Der renommierte Kölner Strafrechtler Björn Gercke erhielt den Auftrag für ein neues Gutachten, das den Umgang von Verantwortungsträgern im Erzbistum mit Fällen sexualisierter Gewalt aufarbeiten sollte. Und er lieferte. 915 Seiten stark ist es geworden, er durchforstete alle Akten des Erzbistums von 1975 bis 2015 nach Fällen möglichen Fehlverhaltens. Gercke und sein Team entwickelten eine Art Ampelsystem: Grün, wenn es keine Hinweise auf Fehlverhalten gab, gelb bei einer möglichen und rot bei einer klar zu erkennenden Pflichtverletzung.

„Nichts geahnt von „dieser Ampel“

Dunkelrot ist nach dieser Farbtabelle das Sündenregister des 2017 verstorbenen Kardinal Joachim Meisner. „Nichts geahnt, nichts geahnt“, hatte er 2010 in einem Interview des Deutschlandradios auf die Frage nach den ersten Missbrauchsfällen gesagt. Das war gelogen, wie das Gercke-Gutachten nun zeigt: Meisner hat nicht nur nachweisbar 24 Mal seine Pflichten verletzt – ist also für ein Drittel der insgesamt 75 im Gutachten festgestellten Pflichtverstöße verantwortlich. Meisner seien durchaus vor 2010 Missbrauchsfälle bekannt geworden, sagte Gerckes Co-Autorin Kerstin Stirner. Mehr noch, Meisner führte sogar eine private Geheimakte über problematische Priester, er gab ihr den euphemistischen Titel „Brüder im Nebel“. Auch der ebenfalls verstorbene Kardinal Joseph Höffner habe Pflichtverletzungen begangen, genauso wie der frühere Generalvikar, der 81-jährige Norbert Feldhoff.

Der im Gutachten höchstrangige noch amtierende Kleriker allerdings heißt Stefan Heße. Für ihn könnte es eng werden, denn Woelki kündigte an, das Gutachten nach Rom weiterzuleiten. Heße ist heute Erzbischof von Hamburg und war zuvor von 2006 an Personalchef und von 2012 bis 2015 Generalvikar im Erzbistum Köln.

Besonders in einem Fall, kommt Heße nicht gut weg: Eine Frau hatte ihren Onkel, einen Priester angezeigt, sie vom Grundschulalter an missbraucht zu haben. Meisner beurlaubte den Pfarrer zunächst, setzte ihn dann aber, nachdem die Betroffene die Anzeige gegen den Onkel wieder zurückgezogen hatte, erneut in der Seelsorge ein. Die Missbrauchsvorwürfe selbst nahm die Frau nie zurück.

In den Akten findet sich ein Papier aus der Hauptabteilung Seelsorge-Pastoral, also Heßes Abteilung. Darin heißt es: „Frau (Justitiarin) hat dem Verteidiger mitgeteilt, dass (der Beschuldigte) hier alles erzählt hat. Es wird von uns aus kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre. (Es bestehen lediglich handschriftliche Notizen, die notfalls vernichtet werden können.)

Prälat Dr. Heße ist mit dem Prozedere einverstanden:

Auf dem Vermerk findet sich sein Kürzel. Gercke befragte Heße dazu, er sei mit einem Anwalt und seinem Justiziar erschienen, erzählt der Strafrechtler. Im Gutachten ist nachzulesen, wie Heße sich windet: „Auf die Frage, warum bewusst kein Protokoll über die bistumsinterne Konfrontation des Beschuldigten mit den Vorwürfen angefertigt worden sei, antwortete Herr Dr. Heße zunächst, ihm sei das Konfrontationsgespräch mit dem Beschuldigten noch gut erinnerlich“, heißt es auf Seite 578.

„Wahrscheinlich außer Haus gewesen“

Das Kürzel sei nicht von ihm, sondern von seiner Sekretärin. Er sei wahrscheinlich außer Haus gewesen. „Den Zusatz, dass er, Herr Dr. Heße, mit dem Prozedere einverstanden sei, könne er sich nicht erklären“, heißt es im Gutachten. Vielleicht habe die Sekretärin sich verhört oder verschrieben? Ja, das Kürzel deute darauf hin, dass er das Dokument zur Kenntnis genommen haben. Er habe aber nicht „einverstanden“ geschrieben.

Woelki kann seinen Mitbruder nicht entlassen, das kann nur der Papst. Dafür entband Woelki noch auf der Pressekonferenz Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und den Offizial Günther Assenmacher, denen im Gutachten ebenfalls Fehlverhalten vorgeworfen wird, von ihren Aufgaben. Woelki sprach von „Vertuschung“ und sagte: „Nichts geahnt? Das ist seit heute nicht mehr möglich.“ Woelki selbst wird in dem Gutachten entlastet – wie auch im WSW- Gutachten, wie Gercke sagte.

„Wir können nur Jura“

Gercke beschränkte sich in dem Gutachten allerdings ausschließlich auf die Akten. Anders als WSW führte sein Team keine Gespräche mit Zeugen, zum Beispiel mit der Opferbeauftragten. Die Expertise vermeidet moralische Bewertungen. „Wir können nur Jura“, hatte Gercke vorab gesagt. Die Kirche habe zugesichert, dass die Akten nach aktuellem Stand vollständig gewesen seien. Aber, so Gercke: „Wir haben erhebliche Mängel in Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung festgestellt.“ Gut möglich also, dass die Zahl der Opfer und Beschuldigten noch viel höher ist. Nach Aktenlage kommt Gercke auf 243 Beschuldigte und „386 individualisierbare Betroffene“.

„Die Betroffenen brauchen mehr“

Der Jesuitenpater Hans Zollner, Vorsitzendet der päpstlichen Kinderschutz – kommission in Rom, nannte das Gutachten „einen viel zu kleinen Schritt“: Aus Opfersicht genüge die von vornherein „klar gewählte rein juristische Sichtweise“ nicht.
„Die Betroffenen brauchen mehr.“


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